Es sind jetzt 20 Jahre vergangen, seit ich als Farb- und Stilberaterin in die damals nebenberufliche Selbständigkeit startete. Mein Wunsch war, dass Menschen mit meiner Unterstützung ihre typgerechten Farben finden für ein gesundes und frisches Aussehen und ein authentisches Auftreten. Die eigenen Farben zu kennen, gibt Sicherheit beim Einkauf der Garderobe und erspart lästige Schrankhüter durch Fehlkäufe. Jeder Mensch hat eine ganz natürliche Schönheit, die durch das Tragen der typgerechten Farben unterstützt wird.
Doch die Analyse vor dem Spiegel, kann ich aus dieser langjährigen Erfahrung sagen, stellte für viele meiner Kundinnen und Kunden eine Belastungsprobe dar. Für die Frauen noch mehr als für die Männer. Wurden sie doch beim Beobachten der Wirkungen der Farben auf die Ausstrahlung an ihre Defizite erinnert. Hübsche Frauen saßen vor mir auf dem Stuhl – und dennoch waren sie selten zufrieden mit ihrem persönlichen Aussehen: die Nase zu groß, die Haare zu glatt oder zu lockig, die Lippen zu schmal, die Schlupflider lästig, … Ich könnte jetzt bis ins unendliche aufzählen, aber Anerkennung, was schön ist, Selbstwertschätzung und Selbstliebe waren bei vielen Fehlanzeige. Bei den vielen Frauenzeitschriften, die uns aufzeigen wie wir Frauen zu sein haben, um dem Schönheitsideal zu entsprechen, um liebens- und begehrenswert zu sein, wundert mich diese Unzufriedenheit meiner Kundinnen nicht. Das stimmte mich oft traurig. Denn Vergleiche mit Models in Zeitschriften, deren Aussehen computergestützt verschönert wurde, sind alles andere als repräsentativ. Aber genau diese Erfahrungen waren ausschlaggebend für meine Entscheidung, eine Ausbildung als Coach zu absolvieren, um tiefer gehen und meine Klienten an der Wurzel beraten (coachen) zu können.
Heute nach über 10-jähriger Erfahrung im Coaching-Bereich (Stressbewältigung und Burnout-Prävention) kann ich sagen, dass sich die Themen verlagert haben. Der Mensch hat eine tiefe Sehnsucht nach Liebe, die er sich in Form von gesellschaftlicher Anerkennung durch sein gutes und jugendliches Aussehen oder durch seinen Beruf verdienen möchte. Die Anforderungen in den Unternehmen werden täglich mehr, da Kolleginnen und Kollegen, die in Rente gehen oder kündigen meist nicht ersetzt werden. Mehrarbeit ist angesagt. Der Wettbewerb wird immer größer und das Vorjahresziel muss um x Prozent gesteigert werden, sonst ist das Unternehmen nicht mehr wettbewerbsfähig. Dann beginnt der Vergleich: Kollege xy ist mit seinem Fachwissen immer auf dem neuesten Stand und Kollegin yz kann dieses oder jenes besser als man selbst. Die eigenen Stärken sind wie ausgeblendet und werden dadurch gar nicht gesehen. Um mithalten zu können müssen wir unsere Anstrengungen täglich steigern, um Anerkennung bzw. Liebe zu bekommen und uns aufgrund der Anerkennung durch andere schließlich selbst lieben zu können.
Doch was passiert, wenn die Anerkennung ausbleibt?
Wir legen noch eine Schippe drauf, dann wird es schon funktionieren mit der Anerkennung. Wäre doch gelacht. Und so rennen wir durchs Leben und vergessen völlig unsere Selbstfürsorge (siehe meinen Blog-Artikel im Juli 2023) für die jetzt bitteschön absolut keine Zeit ist. Sich zeigende Körpersymptome werden unterdrückt, um sie nicht wahrnehmen zu müssen. Die Nerven werden beruhigt womit auch immer bis irgendwann gar nichts mehr geht. Der langsame und stetige Weg in Richtung Burnout ist geebnet.
Weshalb fällt es uns so schwer uns selbst so zu lieben, wie wir sind?
Bereits im Babyalter lernen wir Menschen, dass die Liebe oder Anerkennung, die wir erhalten, eng mit unserem Verhalten verknüpft ist. Sind wir brav, hat uns Mutti oder Papi lieb. Benehmen wir uns daneben oder äußern wir unseren Unmut durch Wutausbrüche und schreien, wird uns die Liebe entzogen. Bringen wir gute Leistungen in der Schule, sind die Eltern stolz auf uns und wir bekommen die nötige Anerkennung und fühlen uns dadurch geliebt. Machen wir als Kind etwas falsch, wird oft der ganze Mensch anstatt nur das Verhalten abgewertet. So nach und nach verankern sich Glaubenssätze wie „Ich kann das ja doch nicht“, „Ich bin nicht liebenswert“ oder „Ich bin nicht gut genug“ in uns, die bis ins Erwachsenenalter in uns weiterwirken, wenn sie nicht entlarvt und bearbeitet werden.
„Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.“
(Philip Rosenthal)
Gemäß dem Zitat von Philip Rosenthal zielen auch die Beurteilungen in Unternehmen hauptsächlich auf die Defizite ab und selten auf das, was super läuft. Das ist für viele Vorgesetzte eine Selbstverständlichkeit und bedarf keiner besonderen Erwähnung. Und hat man ein Ziel erreicht, muss es im nächsten Jahr überboten werden nach dem Prinzip „höher, schneller, weiter“ anstatt langsamer, bewusster, menschlicher. So lange, bis unser Körper, unsere Psyche oder unser ganzer Organismus nicht mehr mitspielen wollen bzw. können. Dieses Gefühl, nicht mehr leisten zu können, ist für die Betroffenen meist zusätzlich mit einem Gefühl von großer Scham verbunden.
Wie können wir uns denn selbst annehmen und das Positive in uns sehen, wenn wir von außen keine Anerkennung erfahren und uns nur geliebt fühlen, wenn wir etwas Besonderes geleistet haben? Wir sollen uns selbst lieben nur für unser SEIN? Die meisten Menschen haben das nie gelernt.
Wie ist das bei Ihnen?
Es steht schon in der Bibel geschrieben „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Den nächsten ja, aber Selbstliebe? Das ist doch narzisstisch, oder? Nein keineswegs. Wer sich selbst liebt, achtet auf sich und seine Bedürfnisse – er achtet vor allem sich selbst. Die Selbstliebe ist deshalb als Indikator zu sehen, wie stimmig wir mit uns selbst sind. Jeder Mensch ist für sich selbst der wichtigste Mensch in seinem Leben. Wer sich selbst bedingungslos liebt und selbst gut für sich sorgt, kann auch andere bedingungslos lieben und gut für andere sorgen, weil er die entsprechenden Ressourcen hat und mit sich im Einklang ist.
Worauf warten wir also? Fangen wir doch gleich damit an uns selbst wert zu schätzen (Selbstwertschätzung), gut für uns selbst zu sorgen (Selbstfürsorge) und uns selbst zu lieben (Selbstliebe)! Das bringt uns in unsere Mitte. Im Einklang mit uns selbst sind wir weniger auf die Anerkennung von außen angewiesen. Weniger Vergleich bedeutet auch weniger Stress! In diesem Sinne – geben Sie Burnout keine Chance!
Ihre
Corinna Wiß
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