Wenn wir gewohnte Dinge tun, dann fühlen wir uns sicher. Im Laufe unseres Lebens entwickeln wir regelrechte Routinen. Das gilt im Beruf genauso wie im Privatleben. Im gewohnten Arbeitsgebiet ist uns alles vertraut. Selbst, wenn kleine Herausforderungen auftauchen, können diese uns nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Übernehmen wir einen neuen Aufgabenbereich, dann stehen wir ziemlich unter Strom. Nach einigen Wochen stellt sich aber wieder ein Gefühl der Routine ein.
Neue Herausforderungen fordern uns. Wenn wir sie bewältigen, dann gibt uns das ein gutes Gefühl des Erfolgs. Wir fühlen uns leistungsfähig. Allerdings können wir nicht ständig den Job wechseln, um zu sehen, ob wir neuen Herausforderungen noch gewachsen sind. Aber das Leben hält ein großes Angebot für uns bereit, Neues auszuprobieren. So waren letzte Woche meine beiden Nichten auf Ferienbesuch mit dem Wunsch, in den Kletterpark zu gehen. Da ich Höhenangst habe, war dies natürlich eine besondere Herausforderung für mich. Ab 10 Jahren dürfen die Kids zwar alleine hoch in die Bäume, aber mit Begleitung macht es natürlich mehr Spaß. Selbst der Probeparcours war für mich schon eine „wackelige“ Angelegenheit. Als es dann über die Hühnerleiter in sechs Meter Höhe ging begann schon die erste Hürde für mich. Oben angekommen, wanderte mein Blick als erstes nach unten. Die sechs Meter kamen mir wie zwanzig vor und ich schluckte ganz schön. Aber schließlich habe ich gelernt mit Herausforderungen umzugehen. Also richtete ich den Blick nach vorne auf mein erstes Ziel und atmete tief durch. Konzentriert und in mir selbst ruhend erreichte ich die nächste Baumplattform. „Ok. Etwas wackelig war es schon, hat aber ganz gut geklappt“. Die nächste Übung war für mich auch noch ganz gut zu bewältigen, aber dann ging es los: Auf längs hängenden Baumstämmen sollte ich auf die andere Seite balancieren. Ich stand bestimmt 5 Minuten auf der Plattform, um mein Ziel zu fokussieren. Den ersten Schritt auf den dünnen Baumstamm zu setzen war eine Überwindung. Ich konzentrierte mich darauf, die Balance zu halten und einen Schritt vor den anderen zu setzen – ganz ruhig. Es kann ja nichts passieren, denn ich bin ja gesichert. Trotzdem ist es mir lieber selbst die Kontrolle zu behalten. „Kontrollfreak“ tauchte in meinen Gedanken auf „nur nichts dem Zufall überlassen“. Dann kam eine heftige Übung: Ich musste seitlich über ein Seil balancieren und hatte vor mir ein aus Seilen zusammengebundenes Spinnennetz zum Festhalten. Bei dieser Übung hatte ich das Gefühl nach vorne zu kippen. Aber ich kam unversehrt auf der anderen Seite an. Der anschließende Gang über breitere Holzschaukeln war dann eine regelrechte Entspannung zwischendurch.
Schließlich gelangte ich zur letzten Übung: Ich sollte über ein Seil balancieren und hatte in bestimmten Abständen einen senkrecht platzierten Baumstamm zum Festhalten. Das Spinnennetz war so ähnlich, aber im Falle eines Falles konnte ich mich darin festhalten. Vor mir gar keinen Halt zu haben, verunsicherte mich, dass meine Beine zu zittern begannen. Was nun? Trotz Zielfokussierung und Atmung konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Meine Höhenangst war einfach stärker und ich konnte sie nicht mehr in den Griff bekommen. Also habe ich entschieden, dass für mich an dieser Stelle das Klettern für den heutigen Tag ein Ende hat. Der Sicherheitstrainer erklärte mir, wie das Abseilen funktioniert. Oje, jetzt musste ich doch die Kontrolle abgeben. Nachdem alles vorbereitet war, musste ich mich in meine Sicherung setzen und dem Trainer mein Vertrauen schenken, dass alles klar geht. Ich überlegte noch schnell, ob ich nicht doch lieber selbst die letzte Übung angehen wollte, aber nein – ich übte mich im Loslassen. Ich gab die Verantwortung ab und vertraute. Ganz im Vertrauen erreichte ich dann auch wieder festen Boden unter den Füßen – welch ein herrliches Gefühl. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich das Klettern ausprobiert habe. Diese Übungen haben mir gezeigt, dass ich mit der entsprechenden Zielfokussierung und der Nutzung meiner Ressourcen viel erreichen kann. Aber mir wurde auch klar, dass ich meine Grenzen kenne. Auch wenn andere Menschen sagen, das schaffst du doch. Von außen sehen Dinge anders und meistens einfacher aus. So geht es mir auch manchmal, wenn meine Klienten ein Thema schildern. Die Lösung sieht für mich einfach aus, aber vielleicht ist der Klient noch nicht so weit, sie zu sehen. Auch ich war noch nicht so weit, diese letzte Übung durchzuziehen. Aber beim nächsten Versuch klappt bestimmt auch diese Aufgabe. Der persönlichen Entwicklung ist es immer zuträglich auch hin und wieder über die eigenen Grenzen hinaus zu gehen. Aber egal, was wir angehen und erreichen möchten: Wir sollten immer unserer Intuition vertrauen können. Denn sie weiß, was gerade in diesem Augenblick für uns richtig ist.