Wie ist das bei Ihnen im Geschäftsleben – kommen Sie mit Ihren Kollegen wunderbar klar, oder fehlt Ihnen hin und wieder das Verständnis für die Handlungsweisen Ihrer Kollegen? Jeder Mensch tickt eben anders – und die große Kunst besteht darin die Kollegen in ihrer Absicht zu verstehen und angemessen mit ihnen umzugehen, wie folgendes Beispiel zeigt.
Frau B., 34 Jahre alt, ist Projektmanagerin in einem mittelständischen Werbemittelunternehmen. Sie ist eine Frohnatur und ein kreativer Kopf mit ständig neuen – manchmal auch verrückten Ideen. Bei ihren Kunden ist sie sehr beliebt, da sie immer die passende Idee für deren perfekten Marktauftritt hat. Frau B. hat seit einem Jahr einen neuen Kollegen im Team. Herr M. ist 31 Jahre alt und ein eher überlegter Typ, der immer gerne auf Nummer sicher geht. Egal um welches Projekt es sich handelt – Herr M. hat immer Plan B in der Tasche und wirkt erstmal kritisch in seinen Äußerungen, wenn Frau B. vor lauter Ideen wieder sprudelt.
Anfangs hat sich Frau B. fürchterlich über ihn geärgert: „Schon wieder will er mir meine Idee ausreden. Er spielt gegen mich. Warum kann er mich einfach nicht verstehen und bringt ständig seine Einwände vor?“ Frau B. war unmotiviert und wollte sich schon einen neuen Job suchen, weil sie keine Lust mehr auf die ständig destruktiven Kommentare von Herrn M. hatte.
Im Gespräch mit einer guten Netzwerkkollegin hat Frau B. einiges über die Typologie der Menschen erfahren. Jeder Mensch ist zwar einzigartig, aber dennoch weisen wir bei näherem Hinsehen viel „Typisches“ auf, das uns anderen ähnlich macht. Die psychischen Bedürfnisse nach Selbstbestimmung, Anerkennung und Sicherheit zählen zu den wichtigsten eines Menschen. Ist eines dieser Bedürfnisse nicht ausreichend erfüllt, dann richtet sich viel Aufmerksamkeit darauf, diesen Mangel zu beheben. Daraufhin hat sich Frau B. sehr intensiv mit Menschenkenntnis beschäftigt und ihr wurde dabei klar, dass Sicherheit ein zentrales Motiv von Herrn M. sein muss. In einem wertschätzenden Gespräch mit ihm konnte sie heraushören, dass er die Gabe hat mögliche Schwierigkeiten vorherzusehen, die andere Kollegen und auch sie selbst nicht bedenken. Frau B. wurde in diesem Gespräch klar, dass seine Einwände keine persönliche Ablehnung ihrer kreativen Ideen oder gar ihrer Person waren, sondern dass Herr M. lediglich auf mögliche Probleme bei der Umsetzung aufmerksam machen wollte. Er war ebenfalls sehr am Gelingen des Projekts interessiert und hatte aufgrund seines analytischen Blicks nur auf eventuelle Schwierigkeiten hingewiesen.
Durch die Beschäftigung mit der Typologie hat Frau B. gelernt, wie sie wertschätzend mit Herrn M. umgehen kann. Denn würde sie seine Sorgen und Zweifel ins Lächerliche ziehen, würde er sich unverstanden fühlen und vermutlich versuchen, seine Bedenken noch ausführlicher zu erklären. So erkennt sie seine Sorgen an und geht gemeinsam mit ihm seinen Bedenken auf den Grund. Dadurch fühlt sich Herr M. verstanden und in seiner Persönlichkeit wertgeschätzt.
Auch für sich selbst hat Frau B. sehr viele Erkenntnisse gewonnen. Schließlich ist Selbsterkenntnis die Voraussetzung einer guten Menschenkenntnis, da man auch die eigenen Versäumnisse wahrnimmt und nicht nur die der anderen. Ein wichtiger Punkt, da wir Menschen uns in unserem Verhalten gegenseitig bedingen.
Was im ersten Moment wie ein Schubladen-System wirkt, soll Menschen aus ihren Schubladen herausholen. Das klingt paradox – ist aber tiefsinnig. Auch Frau B. dachte früher immer, Typologie ist Schubladendenken. Heute weiß sie, dass das Erkennen eines bestimmten Charaktermusters dazu verhelfen kann, sich aus dieser unbewussten Identifikation mit diesem Muster herauszulösen. Denn Verhaltensweisen, die in Fleisch und Blut übergegangen sind, laufen unbewusst ab – man denkt nicht darüber nach. Im Prozess der Selbsterkenntnis macht man sich diese Verhaltensweisen bewusst. Das schafft die Chance, blinde Automatismen zu verlassen, um freier handeln zu können. Wer unreflektiert lebt ist ganz verstrickt in alten Gewohnheiten – eingefahren und unfrei. Wer reflektiert lebt, hat die alten Gewohnheiten nicht über Bord geworfen, hat aber größere Spielräume entwickelt, um andere Verhaltensweisen auszuprobieren. Die Botschaft, die dahinter steht ist: „Du bist immer mehr als dein Persönlichkeitsprofil – du musst es nur erkennen“.